Allgemein und früher
„Sexualaufklärung ist Sache der Eltern“, was auf den ersten Blick logisch erscheint und vom Schreibenden und seiner Frau nach bestem Wissen und Gewissen auch gemacht wird, war früher weder einfach noch selbstverständlich, noch ist es das heute.
Früher war die „Basis“-Sexualaufklärung ebenso wichtig, wie heute. Wer wollte und will schon eine Tochter oder Sohn, der mit 14 Jahre Mutter oder Vater wird, weil sie oder er nicht gewusst haben, wie die Kinder entstehen? Klar, in der Schule hatte man sicher schon mal einen Storch gesehen, die Bestäubung von Pflanzen im Lehrplan. Aber schon früher fand die Aufklärung primär zu Hause statt; oder eben auch nicht. Auch wurde „gedökterlet“ oder in Schriftdeutsch „Doktorspiele gemacht“, was dem natürlichen Lerntrieb der Umgebung von kleinen Kindern entspricht.
Allgemein und heute
Was ist denn heute anders? Beginnen wir mal im echten Leben, im Web 2.0-Slang auch „Real life“ oder halt RL genannt. Wenn ich im Bus sitze oder durch die Stadt laufe, höre ich des öfteren: „figg dini Muetter“, was in Schriftdeutsch „Fick deine Mutter“ bedeutet. Dieses Beispiel liesse sich problemlos erweitern. Haben wir auch schon so gesprochen? Unser gerne und oft genutzter Spruch war „figg di is Chnü“ oder ebeen „fick dich ins Knie“. Beide Beispiele haben eines gemein: das Gesagte hat wenig mit dem Gemeinten zu tun. Ob es nun mit fehlendem Wissen zu tun hat oder einfach mit einer Verrohung der Sprache, sei dahin gestellt.
Sicher viel ernsthafter ist der leichtere Zugang zu sexuellem Bild- und Filmmaterial. Das Tonmaterial lassen wir mal beiseite, erstens dürften Sextelefone nicht mehr sehr „en vogue“ sein, wenn doch, sind sie vermutlich so teuer, wie sie es waren, als sie aufkamen. Wie schnell komme ich dank Internet und Web 2.0 zu explizitem Inhalt, welcher auch ohne die so effektiven Altersabfragemechanismen einsehbar ist? Würde mal schätzen so in ca. 0,0123 Sekunden (aufgerundet).
Ein nackter Busen zu sehen oder ein nackter – äh wie sagt man politisch korrekt? Ah genau – Penis ist vermutlich auch für konservativere Kreise nicht so schlimm, das sieht man ja auch im RL, z. B. zu Hause, in der Werbung, in der Badi oder der Sauna. Schon schlimmer wäre mal eine heterosexuelle Beischlafstellung vom Typ Missionar. Aber die sieht man ja schon im TV-Vormittagsprogramm.
Grenzen des RL – ***Bitte hier nur noch weiterlesen, wenn du mind. 18 Jahre alt bist***
Nun lässt sich im Web aber allerhand anderes erspähen. Ich versuche mal ganz vorsichtig, ein paar Begriffe zu nennen, welche für sexuelle Handlungen stehen, die vermutlich nicht in jeder guten Stube vorkommen werden (Reihenfolge ist durchaus absichtlich gewählt): Blowjob, Cunnilingus, Analverkehr, Gangbang und vielleicht noch Sadomaso.
Grenzen des RL – ***Hier darf wieder jeder weiterlesen***
Was will ich damit sagen? Nein, dass es das gibt und es sogar in Wikipedia nicht nur in Prosa beschrieben wird, wird den meisten nicht mehr ganz Jungen schon bekannt sein. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Kids (sagen wir mal ab 10 Jahren) das zu Gesicht bekommen, mit oder ohne Filtersoftware oder dergleichen. Oder wer will seinen Kindern schon Wikipedia sperren? Wenn doch, eure Kids werden Mittel und Wege finden, das trotzdem zu Gesicht tu bekommen, vielleicht sogar auf dem eigenen Handy, wetten?
Art der Aufklärung
Ich bin der dedizierten Meinung, dass Eltern ihre Kinder aufklären sollten. Insbesondere gilt das bei Kindern im Kindergarten- und im Unterstufenalter. Ebenso dediziert bin ich der Meinung, dass die Art der Aufklärung anders aussehen muss, als zu unserer Zeit (wenn sie denn stattgefunden hat…). Die frühere und extremere Auseinandersetzung ist notwendig, da das Angebot da ist, ob man das wahrhaben will oder nicht. Und wäre das Ungemach aus dem Internet und Co. nicht genug, ist da noch die Sexualisierung der Gesellschaft (dazu ein ander Mal mehr).
Nur mit einer zeitgerechten Aufklärung ist es möglich, den Kindern und Jugendlichen aufzuzeigen, wo die Grenzen der natürlichen Sexualität ist. Diese Grenzen sollten für die genannte Altersgruppe konsequent aufgezeigt werden, was dann im Erwachsenenalter passiert, steht auf einem anderen Blatt Papier.
Zur Aufklärung gehören zwei wesentliche Punkte:
1. Mein Körper gehört mir
Die von der Stiftung Kinderschutz durchgeführte Präventionskampagne zielt absolut in die richtige Richtung. Eine solche Kampagne in den Schulunterricht zu integrieren, bringt viel mehr, als als dass man darauf hofft, dass Eltern diese Ausstellung mit den Kindern besuchen werden. Kinder lernen so, dass es absolute und nicht diskutierbare Grenzen gibt, die von Allen eingehalten werden müssen.
2. Aufzeigen der Grenzen zwischen der virtuellen Welt und dem echten Leben
Ob Eltern, Lehrpersonen oder Pädagogen aufklären, das Ziel bleibt dasselbe: ein Kind oder Jugendlicher muss früh erfahren, was „natürliche“ Sexualität ist und was vornehmlich zur Befriedigung männlicher Gelüste angeboten wird. Dazu gehört auch, diese Formen der Sexualität zu thematisieren. Dies muss immer altersgerecht geschehen, egal wer das Wissen vermittelt.
Der viel zitierte und umstrittene Lehrplan 21
Der Lehrplan 21 versucht nun, die Aufklärung an das Jahr 2014(!) und folgende anzupassen. Auch mir kommt das eine oder andere merkwürdig vor, ein Holzpenis und eine Plüschvagina gehören definitiv nicht dazu, Gruppenkuscheln sehr wohl. Aber entgegen der Aussagen in den Medien, aufgeputscht von tendenziell eher verstaubten Kreisen, wird es im Lehrplan kein Sexualunterricht im Kindergarten geben (Stellungnahme). Ausserdem hatte ich bis heute in keinem Artikel gelesen, dass der Lehrplanentwurf(!) im 2013 in einer breiten Konsultation öffentlich diskutiert wird. Somit wird die Suppe garantiert nicht so heiss gegessen, wie sie jetzt gekocht wird.
Fazit
Sexualaufklärung ist absolut notwendig! Sie soll altersgerecht erfolgen, Grenzen aufzeigen und mit der notwendigen Distanz und Sensibilität vermittelt werden. Wenn dies niemand tut, ist es ganz schlecht, wenn es seitens Elternhaus und Schule passiert, ist es optimal. Der Loewe-Verlag bietet eine altersgerechte Auswahl an Aufklärungsbüchern, z. B.:
Wo kummst du her
Das bin ich, von Kopf bis Fuss
Ich befürchte, dass mit dem (teilweise nachvollziehbaren Widerstand) gegen den „Lehrplan 21“ durch vornehmlich kirchliche und rechtsbürgerliche Kreise ein im Grundsatz guter und nötiger Versuch unterbunden wird, der Sexualaufklärung den Platz einzuräumen, welcher sie benötigt.
Weitere Links:
tagi – Aufklärung als Sache der Eltern
nzz – Aufklärung als Sache der Eltern
St.Galler Tablatt – Kein Holzpenis im Kindergarten